Volles Nest

Zwei Jahre hatte ich mich erfolgreich vor den meist langweiligen Stunden vor Storchennestern gedrückt. Denn was ist da schon zu sehen? Alle 1 1/2 bis 2 Stunden - sehr grob gerechnet, denn die Zeit richtet sich nach dem Angebot auf den Wiesen - Ablösung der Brutpartner. Dazwischen zunehmend jämmerlicher werdendes Gekeuche der hungrigen Jungen, putzen, gähnen, klappern, Drohhaltung, wenn ein Greifvogel vorbei fliegt.

Jetzt hat es doch mal wieder geklappt. Zunächst das Nest hier im polnischen Slonsk, 15 Kilometer hinter der Oder: fünf Junge im Rutsch- und Wackelalter, d.h. zwei, drei Schritte voran, umkippen, aufrappeln. Einer der Kleinen war noch bedeutend kleiner als seine Geschwister, vielleicht sechs, sieben Tage alt, aber so aktiv bei der Futternachsuche auf dem Nestboden, dass er in drei Wochen bei meiner nächsten Verabredung mit ihnen seinen Rückstand schon fast ausgeglichen haben könnte. Hat Spaß gemacht mit dem kleinen Gewusel.

Und dann gab es eine völlig unerwartete Situation, eine Attacke aufs Nest. Nach dem erfolgreich abgewehrten Angriff des fremden Storches verschwanden die Fünf blitzartig unterm Gefieder des liegende Altvogels, der für Augenblicke schwankte wie ein Schiff auf rauer See. Die drei Größten drängelten als erste unter dem liegenden Storch hervor. Und nach kurzer Zeit schien auch der Altstorch den Schreck in der Abendstunde vergessen zu haben.

Betteln, Klappern, am Schnabel oder Gefieder zupfen (nun los, gib was her!), aufstehen, zusammenfallen, drängeln, in Sekundenschlaf fallen. Bei jeder Bewegung des Alten, auch wenn er sich nur mal am Hals kratzen wollte, hoffte die kleine Bande: jetzt wird beschert . . .

In drei Wochen, wenn ich wieder aus der Dachluke nach den Fünfen schaue, wird es sehr, sehr eng im Nest sein. Eng und gefährlich, denn die ersten werden dann schon kräftig ihre Flügel trainieren. Und ich bin neugierig, ob der Kleinste den Anschluss tatsächlich schaffen konnte.